ARIEN UND ROMANZEN
Den gemeinsamen Ursprung der italienischen Kanzone bildeten drei Traditionen, die jeweils an einen bestimmten Kontext des gesellschaftlichen Lebens gebunden waren: Die Piazza (Volkslied), das Theater (den gehobenen Gesellschaftsschichten vorbehaltener Ort musikalischer Darbietungen) und der Salon (häusliches Umfeld zur Förderung und Verbreitung der Laienmusik). Vorwiegend in den Theatern (öffentliche Orte) und Salons (privates Ambiente) entstand im Neunzehnten Jahrhundert eine musikalische Produktion, die maßgeblich von den „erhabenen“ stilistischen und literarischen Leitbildern des Melodrams beeinflusst war und sich durch die typischen Ausdrucksmittel des Belcanto hervorhob. Zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts wurden, im Zuge der rapiden Verbreitung von Tonaufnahmen auf Schellackplatten und Wachszylindern, die Opernarien zu neuem Leben erweckt, und avancierten, aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und von internationalen, dem Theaterpublikum bereits bekannten Stars wie etwa Enrico Caruso, Adelina Patti, Francesco Tamagno, Luisa Tetrazzini oder Rosa Ponselle dargeboten, zu einem der begehrtesten Artikel auf den Wunschlisten der Musikliebhaber. Auf diese Weise wurde es möglich, die bekanntesten Melodien Verdis, Puccinis, Donizettis, Bellinis und weiterer beliebter Komponisten, die das italienische Melodram weltweit berühmt gemacht hatten, im häuslichen Kreise wieder und wieder anzuhören. Selbiges gilt für die Romanze, eine mit dem Lied verwandte, jedoch eher sentimental geprägte und auch dem musikalischen Laien zugängliche Gattung: Ursprünglich zur Darbietung in den Residenzen des Adels und später des Großbürgertums und Mittelstandes konzipiert, erfuhr die Salonromanze, infolge der beachtlichen Popularität von Opernkomponisten wie u. a. Puccini, Mercadante und Leoncavallo, aber vor allem dank Kompositeuren wie Francesco Paolo Tosti (mit dem Gabriele D’Annunzio zusammenarbeitete), Luigi Gordigiani, Stanislao Gastaldon und Ciro Pinsuti - Experten des Genres und wichtige Bindeglieder zwischen den „Bildungsbestrebungen“ einerseits und der Notwendigkeit der Kommunikation mit einem möglichst breiten Publikum andererseits - an der Schwelle zwischen dem Neunzehnten und dem Zwanzigsten Jahrhundert eine rasante Verbreitung in ganz Europa.